2010
Tanz / Theater / Performance
Song of Songs aus dem Buch Salomon in deutscher, türkischer und englischer Sprache, Übersetzungen Klaus Reichert, Samin Rifat, A.J. Rosenberg
Konzept, Bühne, Inszenierung, Choreographie
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Song of Songs dramatisiert das Hohe Lied Salomons, das berühmte biblische Liebesgedicht als eine Symbiose aus Musik- und Tanztheater. Unter der Leitung von Tobias Winter setzt das türkisch – deutsche Ensemble der nodancerscompany das Hohelied Salomons als eine Phänomenologie der Liebe zwischen Orient und Okzident in Szene. Die beeindruckende Wirksamkeit des Gedichtszyklus ist auch 2800 Jahre nach seiner Entstehung ungebrochen. In einem Oratorium der Bühnenkünste legen Tänzer, Sänger und Schauspieler seine Mythen bloß und eröffnen dem Betrachter den Genuss seiner universellen Schönheit.
Gezeigt wurde Song of Songs zunächst in Frankfurt im alten Zollamt und anschließend in Istanbul, Tophane I Amire, im Rahmen von Istanbul Kulturhauptstadt Europa 2010.
Das Hohelied der Liebe
Das „Hohelied Salomons“ oder „Das Lied der Lieder“ ist eine fragmentarische Sammlung von Liebes- und Hochzeitliedern. Die Ursprünge der Gedichte liegen im Dunkeln, Hinweise sprechen jedoch für Nordsyrien 1400 v.Ch. . Um 800 v.Ch. wurde es im Buch Salomon Teil der Tora und damit später zum Teil des Alten Testaments. Von da an immer wieder neu metaphorisch gedeutet und in nahezu jede Sprache übersetzt, wuchs es zu einem transkulturellen Stück poetischer Literatur, ja zum Liebesgedicht schlechthin. In Lyrischen Sequenzen von vollendeter Schönheit erzählt es die Entdeckung und Vollendung der Liebe Shulamiths zu ihrem ungenannten Geliebten.
Der Inszenierung liegt die hochgelobte Neuübersetzung des Gedichtzyklus von Klaus Reichert zugrunde. Seine Übersetzung orientiert sich nicht nur irdisch unverblümt, sondern auch in der Syntax stark am althebräischen Urtext und holt damit mehr vom Duktus des Originals ins Deutsche herüber. Anders als in vielen Nachdichtungen, verzichtet Reichert auf die Vervollständigung der Fragmente, auch enthält er sich Beschönigungen oder Verschleierungen, so dass die ganze erotische Fülle der zerrissenen Sätze und Assoziationen erhalten bleibt.
Ein Oratorium für die Liebe
Das Lied der Lieder beinhaltet lyrische Einflüsse aus vielen verschiedenen Kulturkreisen, die im Laufe seiner Wirkungsgeschichte seine komplexe interkulturelle Gestalt begründeten. So komplex seine poetische Form, so einfach sein narratives Gerüst; es ist die fragmentarische Geschichte von Shulamith und dem Zauber der ersten Liebe. Hinzu kommen die vielen Stellen, in denen die leichtfüßige Trivialität der jugendlichen Liebesgeschichte zu einem metaphysischen Gesang über das Wesen der Liebe überhöht wird. Zusammen genommen mit der musikalischen Sprachgewalt des Gedichtes und seinen bildreichen Assoziations-Oasen erscheint das Oratorium als adäquate Form der Dramatisierung. Wie im Oratorium Choral, Rezitativ und Arie einander gegenüberstehen und doch ineinander greifen, übersetzt die Inszenierung Szenisches Spiel, Tanz und musikalischen Vortrag in ein modernes Bühnenoratorium, dessen Rahmen eine dem Barock entlehnte Symbolismus- Struktur bildet. Wie das Hohelied selbst, emanzipierte sich auch das Oratorium von seiner Tradition der religiösen Andacht, ohne diese Bezugnahme zu verleugnen, insofern sie ein seiner Form immanentes Element darstellt.
Der Tanz und die Musik finden ihre Berechtigung in den Ursprüngen des Hohenlieds als Werberitus von Liebes- und Hochzeitsliedern. Einige Quellen besagen, dass die fragmentarische Form des Textes in einem Ritual begründet liegt, den Text immer da abreißen zu lassen, wo das Wort nicht genügt dem Gefühl Ausdruck zu verleihen und stattdessen den Ausdruck durch Tanz und Musik herzustellen. Valéry zufolge ist der Tanz als „Körperliche Metaphysik“ zu verstehen, wie der Geist in der Metaphysik das Lebensnotwendige überflügelt, so der Körper im Tanz. Wie im Hohenlied konkrete Liebesgeschichte und metaphysisches Manifeste ineinander übergehen, finden sich in der Inszenierung Szenisches Spiel und Tanz im dialogischen Wechsel, dessen Rahmen die symbolistische Struktur als die dem Text adäquate Form darstellt.
Die Inszenierung will dabei mehr als Plattform zur Entfaltung der universellen Schönheit des Lieds der Lieder wirken, als dieselbe darzustellen oder zu konservieren. Sie will dem Publikum einen Raum eröffnen, der es ihm ermöglicht diese Schönheit unmittelbar zu erleben. In kanonartigen Inszenierungselementen wird gleichsam die ritualisierte Form der Gedichte, wie auch ihr kathartisches Prinzip der Lustentladung spürbar gemacht. Dabei zollt die Mehrsprachigkeit der Inszenierung der Wirkungsgeschichte des Hohenlieds Tribut und ermöglicht dadurch gleichsam das musikalische Erleben der Textelemente, indem sie seinen inneren Rhythmus offen legt.
Noch einmal Valéry: „Alles was der Künstler tun kann, besteht darin, etwas zu verfertigen, das im Intellekt eines anderen eine bestimmte Wirkung auslöst.“
Ein Raum aufgeladen mit Geschichte
Das Theater ist ein Ort der Gegenwärtigkeit. Was die Bühnenkünste vor den übrigen auszeichnet ist die gleichzeitige Anwesenheit des Triangels von Produzent, Werk und Rezipient. Performative Elemente die mit der subjektiven Zeit des Zuschauers arbeiten, nehmen in den Inszenierungen der nodancerscompany eine zentrale Stellung ein. Das Konzept eines „Echtzeitheaters“ führt unweigerlich zum „Echtraumtheater“. Für das „Lied der Lieder“ soll dieser Echtraum ein musealer Raum sein. Alle darin vorhandenen oder dazugehörigen Artefakte konkretisieren den Ort mit ihrer eigenen Geschichte als Akkumulator von Zeit. Die Frage nach imaginärem Raum und imaginärer Zeit stellt sich hier nicht. Die notwendige zeitliche Aufladung ist einem musealem Raum immanent, ob sie als Erfahrung die Vergangenheit oder als Idee die Zukunft repräsentiert. Authentische Artefakte repräsentieren, neben ihrer Geschichte und ihrer Zeit, nur sich selbst und öffnen so den (Zeit)Raum für eine Gleichzeitigkeit von Vergangenem und Gegenwärtigem, die dem Lied der Lieder adäquat erscheint.
Die 360°-Bühne erscheint dabei als die angemessene Form eines Raumkörpers für das Hohelied. Das Hohelied ist kein Lehrstück, keine Erziehung zum richtigen Umgang mit der Liebe, auch enthält es keine geschlossene Geschichte, die zur Absorption einlädt, so dass die traditionelle Frontalität dem Werk nicht gerecht werden kann. Die Inszenierung entscheidet sich gegen die strenge Dualität von Zuschauer- und Bühnenraum für die kreisförmige Anordnung mit fließenden Grenzen zwischen Darstellungs- und Rezeptionsraum, in dessen Zentrum das Hohelied erscheint.
Ein deutsch- türkisches Ensemble und die Liebe
Der Beginn einer Inszenierung, die Zusammenkunft eines Ensembles, stellt sich in etwa so dar wie die Erschaffung einer neuen Gesellschaft. Man tastet einander ab, (er)findet eine gemeinsame Sprache und begründet Regeln, die die Gemeinschaft so stabil machen soll, dass sie die lange und schwierige Zeit einer Inszenierung übersteht. Dieser Prozess ist immer auch maßgeblich für das Wesen einer Inszenierung verantwortlich. Bei dieser Produktion gibt es zudem noch die Besonderheit der deutsch-türkischen Interaktion. Das Stück wurde sowohl in Frankfurt, als auch in Istanbul produziert. Es galt eine Produktionsweise herauszubilden, die kulturübergreifend funktionieren würde. Ein zentraler Bestandteil der Inszenierungsarbeit stellte dabei die theatralische Forschungsarbeit nach einem interkulturellen Verständnis von Liebe dar. Hierzu war ein reflektierender Zugriff des kreativen Bewusstseins der Darsteller für ihre kulturellen Wurzeln erforderlich. In mehreren Workshops wurden kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Phänomen Liebe herausgearbeitet und einem gemeinsamen Grundverständnis zurückgeführt. Im konkreten Bezug auf das Hohelied stellte hierbei der Unterschied der türkischen Rezeptionsweise zur deutschen ein wichtiges Korrektiv für Inszenierungsfragen dar. Im Koran ist das Hohelied nicht kanonisiert, so dass es im islamischen Kulturkreis auch in keiner religiösen Rezeptionstradition steht. Die Ursprünge des Hohenlieds liegen im Orient, erst im Laufe seiner Wirkungsgeschichte erhielt es Einzug im Okzident, wo es durch die religiöse Einbettung eine feste Verankerung erfuhr. Die Blickrichtungen der Ensemblemitglieder auf die Gedichte waren also diametral, was eine äußerst produktive Grundlage zu einer umfassenden Rezeptionsweise des Hohenlieds gewährleistete. So bildet die Interkulturalität das zentrale Grundelement der Inszenierung, die sich im Hohenlied, in seinem Sujet und im Ensemble selbst wechselseitig bedingt.
„Drück mich wie ein Siegel
auf dein Herz,
wie ein Siegel
auf deinen Arm,
Denn stark wie der Tod
ist die Liebe,
unerbittlich
wie Shehol
das Begehren,
ihre Brände Feuerbrände,
die unbändig lodern.
Ganze Berge Wasser
Können nicht löschen
die Liebe
und Fluten
sie nicht wegschwemmen
Gäbe einer alle Schätze seines Hauses
um Liebe,
man verhöhnte, verhöhnte ihn.“
„Seine Linke
unter meinem Kopf,
und seine Rechte
umschlingt mich.“
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mit
Gizem Akman, Ayse Ayter, Su Günes Mihladiz, Senem Oluz, Bari Otzt, Oguz Turgutgenc,
Gala Othero Winter, Esra Yurttut,
Dramaturgie Anna Seitz, Musik Jürgen Beuth, Licht Chris Wiedemann,
Produktionsleitung Sarah De Castro
Produktion nodancerscompany
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Uraufführung 26.XI. Altes Zollamt Frankfurt
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Song of Songs / Lied der Lieder – Akatlar Kültür Merkezi from Tobias Winter on Vimeo.